Weisheitsgeschichten

Eine Weihnachtsgeschichte

Ein kleiner Junge besuchte in der Vorweihnachtszeit seinen Großvater und sah ihm zu, wie er die Krippenfiguren schnitzte. Der Junge schaute sie sich ganz intensiv an, und sie fingen auf einmal an, für ihn zu leben - alle Figuren, einschließlich die des Jesuskindes.

Der Junge schaute das Kind in der Krippe an - und das Kind schaute ihn an. Plötzlich bekam der Kleine einen Schrecken, und die Tränen traten ihm in die Augen.

"Warum weinst du denn?" fragte das Jesuskind.
"Weil ich dir nichts mitgebracht habe", sagte der Junge.
"Ich möchte aber gerne etwas von dir haben", entgegnete das Jesuskind.
Da wurde der Bub rot vor Freude. "Ich will dir alles schenken, was ich habe", stammelte er.
"Drei Sachen möchte ich von dir haben", sagte das Jesuskind.
Kaum hatte es ausgesprochen, da sagte der Kleine auch schon: "Ich gebe Dir meinen neuen Mantel, meine elektrische Eisenbahn, mein schönes Buch..."
"Nein, nein", entgegnete das Jesuskind, "das alles brauche ich nicht. Schenk mir deinen letzten Aufsatz."
Da erschrak der Kleine.
"Jesus", stotterte er ganz verlegen... und flüsterte: "Da hat doch der Lehrer 'ungenügend' darunter geschrieben".
"Eben deshalb will ich ihn haben", antwortete das Jesuskind.
"Aber warum denn?" fragte der Junge.
"Du sollst mir immer das bringen, wo 'ungenügend' darunter steht. Versprichst du mir das?"
"Sehr gern", antwortete der Junge.
"Aber ich möchte noch ein zweites Geschenk von dir", sagte das Jesuskind, "deinen Milchbecher."
"Aber den habe ich doch heute zerbrochen", entgegnete der Junge.
"Eben drum. Du sollst mir immer das bringen, was du im Leben zerbrochen hast. Ich will es wieder heil machen. Gibst du mir das auch?"
"Das ist schwer", sagte der Junge. Aber er nickte und schaute das Kind in der Krippe fragend an: "Hilfst du mir dabei?"
"Aber sicher", sagte das Jesuskind.
"Und nun mein dritter Wunsch: Du sollst mir noch die Antwort bringen, die du deiner Mutter gegeben hast, als sie dich fragte, wie denn der Milchbecher kaputtgegangen ist."
Da fing der Kleine an, bitterlich zu weinen: "Ich, ich, ich...", brachte er unter Schluchzen mühsam heraus, "ich habe gesagt, ich hätte den Becher versehentlich umgestoßen; in Wahrheit habe ich ihn aber absichtlich auf die Erde geworfen."

"Ja, du sollst mir all deine Lügen, deinen Trotz, dein Böses, was du getan hast, bringen", sagte das Jesuskind. "Und wenn du damit zu mir kommst, und mich bittest, dir zu helfen, so will und werde ich dir helfen; ich werde dich annehmen mit all deinen Schwächen; ich werde dir immer neu vergeben; ich werde dich an deiner Hand nehmen, dir den Weg zeigen, und wir werden den Weg zusammen gehen. Willst du dir das schenken lassen?"

Und der Junge schaute, hörte und staunte.
Seine Antwort ist nicht überliefert, aber ich kann mir unmöglich vorstellen, dass er "nein" gesagt hat.

(Autor unbekannt)




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